Michael Morris: Ja, gerade Facebook ermöglicht es diesen Firmen, jeden x-beliebigen Nutzer genauer zu beurtei-
len, als das seine Freunde oder Familienmitglieder könnten. Sie wissen nicht nur, was jemand mag oder nicht mag,
sie wissen vor allem, was er zu jedem einzelnen Thema denkt und fühlt. Genau das haben die Brexit-Befürworter
und die Wahlhelfer Donald Trumps vor den Abstimmungen ausgenutzt. Wenn ein Trump-Wahlhelfer an die Tür
eines potentiellen Wählers klopfte, wusste er ganz genau, was er demjenigen sagen musste, um ihn zur Wahlurne
zu bringen. Hillary Clinton hingegen hat auf die alte Methode gesetzt: auf teure Fernsehwerbung, die breit streut
und niemanden wirklich persönlich erreicht. Clinton war das Sinnbild für das alte System, das zu träge und zu
unpersönlich geworden ist. Bei der Wahl zum 45. US-Präsidenten ging es nicht nur um zwei extrem fragwürdige
Kandidaten, sondern um viel, viel mehr.
Jan van Helsing: Clinton war die Kandidatin die Kandidatin der Wall Street und des Militärisch-Indus-
triellen Komplexes. Trump hat alles Bisherige in Frage gestellt und mit äußerst ungewöhnlichen Mitteln
fast schon verspottet. Clinton stand aber auch für das Silicon Valley, wie Sie beschreiben. Wie ist da die
Verbindung?
Michael Morris: Das Silicon Valley ist eng mit Washington, und da vor allem mit den Demokraten verbunden,
weil sie für Fortschritt stehen. Nachweislich stimmten all jene, denen der technologische Fortschritt zu schnell geht
– also die Konservativen – für Trump, auch weil er gegen das Silicon Valley wetterte, das immer mehr Macht über
Politik, Wirtschaft und Medien ausübt. Gleichzeitig hat Trump aber anders als Clinton die Mittel moderner Kom-
munikation und Manipulation genutzt. Die Silicon-Valley-Milliardäre haben Clinton ganz offen unterstützt, aber
Trump hat mit Hilfe ihrer Technologie gewonnen. Wenn das nicht Ironie des Schicksals ist?
Jan van Helsing: Sie haben mir erzählt, dass in den USA die Kriegstrommeln geschlagen werden. Geht
es nur darum, vom eigenen Versagen abzulenken oder ist ein neuer großer Krieg wirklich wahrschein-
lich?
Michael Morris: Sie können sich nicht vorstellen, welche Hysterie in den USA herrscht. Die links-liberale urbane
Elite ist wütend, weil Donald Trump Präsident ist, und sie schieben die Schuld dafür den Russen in die Schuhe,
die angeblich mittels „Fake News“ im Internet für ihn den Sieg geholt haben sollen. Gebildete, intelligente Men-
schen leiden unter einem massiven Verfolgungswahn durch angebliche russische Trolle, während sie in jeder
Sekunde Facebook und Google alle Informationen über sich preisgeben und von den IT-Giganten nach Belieben
manipuliert werden. In dem Land, in dem die Geheimdienste alle Menschen auf Erden lückenlos überwachen,
behaupten Klugschwätzer, dass die Russen die US-Wahlen entschieden hätten. Das alte Establishment ist
verzweifelt und wütend, was sehr gefährlich ist. Denn nicht nur Donald Trump ist unberechenbar, seine politischen Gegner sind es ebenfalls. Doch es gibt noch andere Themen, die noch viel gefährlicher sind: Wir
nähern uns mit riesen Schritten der „Singularität“, also jenem Moment in der Geschichte der Menschheit, ab dem
Künstliche Intelligenz dem Menschen geistig überlegen sein wird und ab dem für uns nichts mehr vorhersehbar
sein wird.
Darüber sollten wir reden, denn Experten wie Elon Musk oder Prof. Stephen Hawking sind sich darin einig, dass
Künstliche Intelligenz gegenwärtig die größte Gefahr für die Menschheit darstellt. Wir sind dabei, uns selbst
auszulöschen, und wenn wir so weiter machen, brauchen wir dafür nicht einmal mehr einen Krieg. Wir schaffen
Maschinen, die allein Entscheidungen treffen können und die uns nicht brauchen. Wir sollten endlich über das
reden, was wirklich wichtig ist, anstatt uns immer und immer wieder im Kreis zu drehen, sonst könnte es bald zu
spät sein.
Jan van Helsing: Sie haben völlig recht und ich bin mir sicher, dass Ihr neues Buch einen wichtigen
Beitrag dazu leisten wird, den Fokus auf die dringenden Probleme unserer Zeit zu lenken. Vielen Dank
für das anregende Gespräch, Herr Morris.